Sonntag, 18. Januar 2015

55. Der Zusammenhang zwischen Fortpflanzung, Gewalt und Religion

55.  Der Zusammenhang zwischen Fortpflanzung, Gewalt und Religion
 
Gewalt ist das Durchsetzen von Eigeninteressen und Bedürfnisbefriedigung als Einzelner oder als Mitglied einer Ingroup mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegenüber anderen Wesen, die dadurch Schaden erleiden oder getötet werden.    
Gewalt kann Widerstand erzeugen und zu Kämpfen führen, oder bei Übermacht auch ohne Gegenwehr ausgeübt werden.

Gewalt hat die Evolution gefördert, besonders wenn man auch die Jagd auf Beute in obige Definition einbezieht. Bedauerlicherweise erhöht Gewalt die darwinsche Fitness.  Das ist eine nüchterne Beschreibung eines für leidende Individuen extrem grausamen Sachverhalts.  

Vor allem bei männlichen Säugetieren ist in Abhängigkeit von der Spezies Gewalt ein erfolgreiches Mittel, um
  • Zugang zur möglichst vielen fruchtbaren weiblichen Tieren zu erlangen und diese auch gegen ihren Willen zu schwängern
  • Kontrolle über möglichst viele Ressourcen für die Versorgung der Nachkommen zu erlangen, sowohl durch Wettkampf innerhalb der Ingroup als auch durch Aneignen der Ressourcen einschließlich Lebensraum von Mitgliedern der Outgroup.

Die Instinkte der Tiere sind wie ein Computer, der nur ein einziges Programm vollautomatisch ausführt.   Dieses Programm lautet: 
Gib deine Gene so oft wie möglich weiter und sorge für Bedingungen, unter denen auch Deine Nachkommen sich optimal vermehren können.   
Benutze jedes Mittel, wenn es den meisten Erfolg hat.  
Die Wahl dieser Mittel sind Unterprogramme, die je nach Spezies und Umweltbedingungen unterschiedlich sind.   Gewalt gehört zu diesen Mitteln.

 
Menschen sind ein Sonderfall.   Bei ihnen ist das gleiche Programm zwar auch vorhanden. Aber es wird nicht vollautomatisch ausgeführt.  Menschen haben ein Bewußtsein, das sie mehr oder minder gut dazu befähigt, eine Entscheidung für oder gegen die Ausführung des Programms zu treffen.    
Diese Entscheidung beruht auf der Abwägung von Nutzen und Schaden durch entweder Ausführen oder Vermeiden des Fortpflanzungsverhaltens. Menschen können Gewalt bewerten. Sie können wissen, daß Gewalt nicht nur ein Mittel zum Erfolg des Täters ist, sondern auch grausam für das Opfer.    

Die Möglichkeiten, sich wirklich frei zu entscheiden, sind aber leider oft nicht gegeben.   Denn Fortpflanzung wird sogar von denen, die den Drang dazu selbst gar nicht verspüren, oft als Selbstverständlichkeit und als alternativlose soziale Norm mißverstanden.  Diese Norm wird im Kindesalter unkritisch übernommen, einschließlich der unsinnigen Unterstellung, diejenigen, die bewußt keine Kinder wollen, wären gestört, krank, entartet.           

Die Entscheidung gegen Fortpflanzung ist deshalb immer das Ergebnis aktiven Umdenkens. Je rationaler Menschen sind, je besser ihre kognitiven Fähigkeiten entwickelt sind, desto besser können sie erkennen, daß für sie selbst als Individuen das Fortpflanzungsverhalten eine zu vermeidende Form der Selbstschädigung ist.  
Wer sich selbst nicht als Genträger wahrnimmt, sondern als Individuum, dessen Leben mit dem Tod vorbei ist, hat keinen Grund, irgend etwas für die Zeit danach zu tun.   Deshalb hat er auch keinen Grund, Lebenszeit und -qualität für die Fortpflanzung zu opfern.   

Diejenigen Menschen, die noch zusätzlich Empathie, eine gute Theory of Mind und ein Verständnis für Fairness und Gerechtigkeit haben, sind in der Lage, ihr Verhalten in Anlehnung an den Philosophen Epikur davon leiten zu lassen, Schaden und Leiden sowohl bei sich selbst als auch bei anderen zu vermeiden.   
Die Entscheidung dieser Menschen gegen Fortpflanzung beinhaltet die Entscheidung, daß Gewalt zu Gunsten der Nachfahren überflüssig ist.   

 
Bei Menschen ist Gewalt nicht wie bei den Tieren eine automatisch angewandte Methode.  Gewalt wird von einigen Menschen völlig abgelehnt.  Ansonsten wird das erlaubte Maß an Gewalt gesellschaftlich geregelt, beschränkt und kontrolliert.  Dadurch werden die eher rationalen Menschen, die sich mehr oder minder stark gegen gewaltunterstützte Fortpflanzung entschieden haben, geschützt.  Wie gut sie geschützt werden, hängt davon ab, in welcher Art von Gesellschaft sie leben.

Wer hingegen den Drang verspürt, genau wie ein Tier das Fortpflanzungsprogramm mit uneingeschränkter Gewalt auszuführen, stößt abhängig davon, in welcher Gesellschaft er lebt, an mehr oder minder klare und enge Grenzen.   

Wenn deshalb stark instinktgetriebene und gewaltbereite Männer daran gehindert wurden und werden, ihre Triebe rücksichtslos auszuleben, sind Religionen ihr Gegenmittel.  Für diesen Zweck erfanden sie Gottheiten, die fast immer in irgendeiner Form Frauen zur Fortpflanzung verpflichten und Männern jede fortpflanzungsförderliche Gewalt erlauben.   

1.  Frauen werden dazu gebracht, daran zu glauben, daß sie nach dem Tod für alle Mühsal und alles willige Erdulden belohnt werden.   Dazu gehört auch die Fortpflanzung.   Bei Verweigerung droht Strafe durch die Gottheit.

2.  Als die Religionen entstanden sind, wußte noch niemand etwas von Genen.    Wer sich zwar rational als Individuum wahrnahm, aber trotzdem diesen unerklärlichen Drang empfand, sich als Genträger und damit als Glied einer ewigen Kette zu verhalten, geriet in einen Widerspruch. Denn Genträger sind ja gerade keine Individuen, sondern nur Partikel eines übergeordneten großen, trotzdem in der beobachtbaren, erlebbaren Welt unsichtbaren und nicht nachweisbaren Ganzen.  
Die Lösung des Widerspruchs war die Erfindung einer oder vieler Gottheiten, oder auch einer kosmischen Kraft.  Welchen genauen Inhalt dieser Wahn hatte, spielte für die Erklärung einer nicht vom Tod begrenzten Ewigkeit keine Rolle.   
Diesem Gott wurde die Rolle der letztendlich für alle Leiden verantwortlichen Instanz zugeschrieben.   Dadurch konnte jeder rücksichtslos anderen alles zum Vorteil der eigenen Gene antun und brauchte sich nie schuldig zu fühlen.   Denn er konnte ja glauben, den Willen des Gottes zu erfüllen.   Damit war auch Gewaltanwendung der Wille der Gottheit.  

3. Gewalttätige Männer verhindern emotionale Paarbindungen.  Solche Männer treiben Frauen dazu, ihre Bindungsbedürfnisse ersatzweise bei den Kindern zu befriedigen.   Das erhöht die Erfolgsrate der Fortpflanzung, wenn die Frauen sich besonders stark für ihre Kinder aufopfern.

 
Deshalb ist der Kernzweck aller Religionen das Bedürfnis instinktgetriebener Menschen nach einer Rechtfertigung dafür, anderen Leid zuzufügen, ohne sich schuldig zu fühlen und ohne innere Konflikte.  

Gewaltbereite, frauenfeindliche Religionen und Ideologien sind deshalb nicht die Ursache dafür, daß friedliche, rationale Menschen brutalisiert werden.   
Es ist umgekehrt:  Diese Religionen und Ideologien sind für diejenigen geschaffen worden, die sich in ihrem gesellschaftlichen Umfeld am vollen Ausleben ihrer Instinkte in der Form von Gewalt und Frauenmißbrauch gehindert fühlen.  Sie wählen diese Religionen und Ideologien, weil sie dort die gewünschte Rechtfertigung für instinktgetriebenes Verhalten finden.  Zudem bietet ihnen diese Gruppen auch die gemeinsame Macht und Stärke, um für ihr Verhalten keine Konsequenzen befürchten zu müssen.    

Im Blogeintrag Wieso ein Monster zum Vorbild werden konnte  habe ich einen Religionsstifter beschrieben, der wegen Gewalt und Mißbrauch heute in Deutschland in Sicherungsverwahrung käme.   Für Männer, die so wie er Gewalt und Frauenunterdrückung ausleben wollen, ist er ein verehrtes Rollenmodell
Im Blogeintrag Zwischen Skylla und Charybdis habe ich verallgemeinert, warum die Rechtfertigung von Instinktverhalten und Gewalt sich auch bei rechter Naziideologie findet und nicht nur bei Religionen.