Samstag, 23. August 2014

15. Wahrscheinlichkeitsdenken: Die rationale Alternative zum Glauben

15.   Wahrscheinlichkeitsdenken: Die rationale Alternative zum Glauben
Sich verhalten bedeutet fast immer, daß man sich für eine von mehreren Verhaltensalternativen entscheidet.   Im einfachsten Fall ist diese Entscheidung die zwischen etwas tun oder etwas unterlassen.
   
Um eine Entscheidung zu treffen, braucht man eine ausreichende Ausgangsbasis von subjektivem Wissen über die Unterschiede zwischen den Verhaltensalternativen, damit ein Vergleich möglich ist.  Diese Basis besteht aus echten oder vermeintlichen und scheinbaren Informationen und aus mehr oder minder plausiblen Annahmen.

Um sich eine solche Basis zu verschaffen, gibt es zwei grundlegend unterschiedliche Vorgehensweisen:

1.  Glauben 

Wer glaubt, der übernimmt meistens ohne überhaupt nachzudenken Behauptungen anderer als wahr und als so sehr in aller Ewigkeit gültig, daß auch eine zukünftige Überprüfung nicht mehr denkbar ist.  Dadurch sind Entscheidungen automatisch von der nicht mehr angezweifelten angeblichen Wahrheit determiniert und daran kann sich auch nichts mehr ändern.   Es sei denn, jemand wird durch ein Schockerlebnis zuerst von dem Glauben geheilt.     

2.  Wahrscheinlichkeitsdenken

Wahrscheinlichkeitsdenken bedeutet, auf die Zukunft bezogene Entscheidungen von der aus der Erfahrung bekannten oder geschätzten bisherigen relativen Häufigkeit abhängig zu machen.  

Wenn beispielsweise jemand an 100 Arbeitstagen jeden Morgen zur selben Zeit 60 Mal einen freien Parkplatz findet, dann ist die Wahrscheinlichkeit dafür, am 101. Tag einen freien Parkplatz zu finden p = 0,6.    Dies gilt aber nur solange, wie sich die Situation und die Gegebenheiten nicht verändern.   Eine Betriebserweiterung oder ein zusätzlicher Parkplatz würde die Wahrscheinlichkeit ändern und damit auch das Verhalten.

Werden dann auch noch die möglichen Konsequenzen gewichtet, in obigem Beispiel also, ob gelegentliches Zuspätkommen folgenlos bleibt oder auf jeden Fall vermieden werden muß, lassen sich Entscheidungen flexibel optimieren.


Bei sehr vielen Dingen im Leben muß man aber Entscheidungen treffen, ohne auf eigene Erfahrungen zurückgreifen und/oder ohne die Möglichkeit, benötigte Informationen in eigener direkter Erfahrung nachprüfen zu können.  Das betrifft zum einen die Unwägbarkeit von Lebensereignissen wie z.B. Krankheit oder Arbeitslosigkeit, zum anderen die Methoden, mit denen solche Ereignisse verhindert oder die Folgen gemildert werden können.  Hier helfen nur Vermutungen und Schätzungen.   Die aber werden nur als momentan gültige Annäherungswerte betrachtet und immer wieder überprüft und angepaßt.    Das ermöglicht angemessene Vorsicht und Bemühungen um Vorbeugung. Wer hingegen an einen Schutzengel, Magie, Amulette, Hellseherei und dergleichen glaubt, ist dem ausgeliefert, was ihn unerwartet trifft.


Beispiel 1:  Jemand ist krank und ein Arzt schlägt ihm eine bestimmte Behandlung vor.  

1.   Als medizinischer Laie kann er zunächst die Wahrscheinlichket, wie weit diese Behandlung hilft oder sogar schaden kann, auch nur sehr schlecht abschätzen.   Aber er kann seine Einschätzung verbessern, indem er immer mehr Informationen verarbeitet.   Vorschläge von anderen Ärzten, Erfolge der Ärzte mit ähnlichen Fällen, medizinische Literatur, Erfahrungen anderer mit dieser Krankheit sind solche Möglichkeiten.   Wenn er am Ende eine Entscheidung trifft, ist das dann die bestmögliche, auch wenn sie trotzdem noch falsch sein kann. 

2.1.   Der religiös Glaubende trifft keine Entscheidung, die überläßt er anderen.   Er betet darum, gesund zu werden.   Wenn das nicht hilft, ist eben die Krankheit Gottes Wille, der duldsam zu ertragen ist.   Oder er betet, daß Gott ihm die Erleuchtung geben möge, die richtige Entscheidung für oder gegen die vorgeschlagene Behandlung zu treffen.   

2.2.  Der unkritisch Leichtgläubige tut zunächst, was der Arzt sagt.    Falls es nicht sofort umfassend wirkt, geht er zu einem Quacksalber (beschönigend Heilpraktiker genannt), am ehesten zu dem, dessen Heilungsversprechungen am lautesten und überzeugendsten sind.    Dem bezahlt er gutes Geld für wirkungslose Pillen und Wässerchen (Homöopathie) und sonstigen Hokuspokus.  
So weit harmlose Symptome durch den Placeboeffekt verschwinden, ist das nur dumm.   Aber wenn auf diese Weise ernste Krankheiten nicht behandelt werden, dann sind die Leichtgläubigen schnell die Opfer von legalem Betrug, auch dann, wenn sie selbst das nicht einmal merken.
  

Der Glaube an Gott und an die Homöopathie waren zwei Beispiele von vielem, wovon Menschen ihre Entscheidungen abhängig machen. Astrologie, Geistheiler, Wünschelrutengänger, Glückszahlen, Fengshui und vieles andere gehört auch dazu.   Wer an solchen Schwachsinn nicht glaubt, schüttelt verwundert den Kopf.  

Beispiel 2:  Es ist sicherlich schwierig, sich immer richtig zu entscheiden, wie weit welche Lebensmittel oder Inhaltsstoffe davon gesund oder schädlich sind.   Da hilft nichts außer sich immer wieder zu informieren und sein Verhalten so gut es geht an den Informationen auszurichten.  

Unsinnig ist es, wenn religiös Glaubende wegen religiöser Vorschriften manche Lebensmittel gar nicht, andere nicht zusammen oder zu bestimmten Zeiten nicht essen.   Unsinnig ist es auch, jede Panikmache sofort ungeprüft zu glauben, nur weil irgendein New-Age-Eso-Guru behauptet, irgendeine Substanz oder ein Verfahren sei schädlich.  Genau so unsinnig ist es auch, mehr Geld für Lebensmittel zu bezahlen, nur weil jemand behauptet, Aussaat nach dem Mondkalender und ähnlichem Hokuspokusd würde das Produkt so besonders gesund machen, daß das den hohen Preis rechtfertigt.

Deshalb passen Glaubende und wissenschaftlich orientierte Wahrscheinlichkeitsdenker nicht als Partner in einer Paarbeziehung zusammen.  Gemeinsame Entscheidungen sind nicht möglich, stattdessen führen die unterschiedlichen Denkweisen zu unvermeidlichen und meist unlösbaren Konflikten.