Sonntag, 9. November 2014

33. Eigenverantwortung

33.  Eigenverantwortung

Zur Zeit wird viel über das Ende der Teilung Deutschlands vor 25 Jahren diskutiert und auch über den Schießbefehl an der Grenze.    Das ist ein geeigneter Anlaß, mir einige Gedanken darüber zu machen, wann und wofür man andere verantwortlich machen darf und inwieweit man auch dann eigenverantwortlich ist, wenn man von Zwängen beschränkt wird.    

Zwar ist niemand für das verantwortlich, was andere ihm antun, falls und solange er dem ausweglos ausgeliefert ist.   Aber jeder ist immer dann auch selbst für die Folgen seines Tuns mitverantwortlich, wenn er eine Wahlmöglichkeit und Entscheidungsfreiheit hat.   

Wenn die Entscheidungsfreiheit deutlich eingeschränkt ist, und jemand nur die Wahl zwischen zwei Übeln hat, dann ist es zwar gerechtfertigt, andere für das kleinere Übel verantwortlich zu machen, aber das selbstgewählte deutlich schlimmere darf man trotzdem nicht vollständig anderen anlasten.   Wenn jemand willentlich und wissentlich das größere Übel wählt, ist er für die Konsequenzen dieser Wahl selbst verantwortlich.   Es ist absurd und unlogisch, den Verursacher des kleineren Übels auch für das größere Übel verantwortlich zu machen, wenn diese Entscheidung nicht erzwungen wurde.  

Ein einfaches Beispiel:  Jemand wird am Arbeitsplatz und gemobbt.   Der mobbende Mitarbeiter ist für die Situation verantwortlich, nicht aber für alle Konsequenzen von unangemessenem Verhalten, wenn der Gemobbte z. B. unentschuldigt nicht mehr zur Arbeit erscheint und fristlos gekündigt wird.

In der DDR war sicherlich einiges nicht optimal, und für viele war ihr persönlicher Wunsch, das Land zu verlassen, nachvollziehbar.  
Menschen daran zu hindern, ein Land zu verlassen, ist meistens ein Unrecht.   Aber das ist völlig irrelevant für die Frage, wer dafür verantwortlich ist, daß die an einer Grenzen erschossenen Menschen die freie Entscheidung hatten, sich dem Risiko auszusetzen oder es zu vermeiden.
Jeder wußte, daß im Grenzbereich geschossen wurde.  Niemand wurde mit Gewalt dorthin gezwungen.    Wer das kleinere Übel gewählt hat und geblieben ist, wurde nicht erschossen.  Diese Wahlmöglichkeit gab es.    Die Führung der DDR war zwar für die dichten Grenzen verantwortlich, nicht aber für den vermeidbaren Tod aufgrund einer freien Entscheidung.

Die Menschen in der DDR hatten Arbeitsplätze, für ihre Grundbedürfnisse nach Wohnung, Nahrung, Bildung und medizinische Versorgung war gesorgt.   Das ist mehr und besser, als es vielen Millionen Menschen in armen Ländern augenblicklich geht.    Wer riskiert, auf der Flucht umzukommen, weil er wegen Krieg und Gewalt auch elend umkommt, falls er bleibt, der braucht Hilfe, Unterstützung und Verständnis.  Wer aber trotz eines Maßes an Versorgung wie in der DDR sein Leben nur aus Unzufriedenheit darüber riskiert, daß es anderen anderswo noch ein bißchen besser geht oder zu gehen scheint, der ist selbst für das verantwortlich, was mit ihm geschieht.  


Das gilt selbstverständlich auch für den Bereich der Beziehung.   Wenn der andere mit Gewalt für sich eine Dominanzposition erzwingt, dann ist er alleine dafür verantwortlich.   Wer aber in der Situation ist, eine Wahl treffen zu können zwischen dem Übel des Ausgeliefertseins und dem des Beziehungsendes, der ist auch selbst für die Folgen einer Fehlentscheidung mitverantwortlich.