Sonntag, 27. Juli 2014

9. Meine subjektive Erfahrung mit dem Dunning-Kruger-Effekt

9.  Meine subjektive Erfahrung mit dem Dunning-Kruger-Effekt
 
In meiner Alterskohorte hat nur eine kleine Minderheit studiert.    Als ich 1971 angefangen habe, war das das erste Jahr, in dem es BaFög gab.   Vorher war ein Studium nur möglich, wenn die Eltern den Unterhalt bezahlen konnten.   

Statistik zum Hochschulabschluß 
 
60 - 65
alle 15 %, Männer 20,2 %, Frauen 10,1 %
 
65 und älter   
alle 9,6 %, Männer 15,9 %, Frauen 4,9 %

http://www.bildungsbericht.de/daten2012/bb_2012.pdf


Bis vor wenigen Jahren war meine Welt wohlgeordnet:   Engen und intellektuellen Austausch hatte ich fast nur mit Leuten, die auch studiert hatten.   Mit allen anderen war der Umgang freundlich, oberflächlich und ohne Antagonismus.   Die beidseitig anerkannte Tatsache, daß ich aufgrund meines Studiums gelegentlich in einigen Bereichen etwas mehr wußte und konnte, führte nicht zu Konflikten.    Daß nichtstudierte Menschen in einigen Bereichen qualifiziert sind, habe ich auch ohne Probleme anerkannt.  

Mit Dummheit war ich hauptsächlich indirekt konfrontiert, wenn ich mich immer wieder darüber gewundert habe, welchen hirnrissigen Schwachsinn manche Leute ernst nehmen und sich selbst damit schaden.    Astrologie, Homöopathie, Wünschelruten sind drei von vielen Beispielen.  

Seit 1998 bin ich im Internet unterwegs.   Das bot mir damals zwar zum ersten Mal Zugang zu umfangreichem ungefiltertem Ausdruck von dem, was solche Menschen denken und erleben, mit denen ich direkt niemals Kontakt hätte, also auch mit Menschen, die sehr anders sind als ich.    Aber noch viele Jahre lang waren diejenigen, die im Web aktiv waren, nicht repräsentativ für das Bildungsspektrum der Gesamtbevölkerung.   Sie waren eine Auswahl der eher gebildeten, die mit diesen Medien umgehen konnten.

Inzwischen sind (April 2014) Internetnutzer:
unter 40 Jahre fast alle
40 - 49 Jahre     90,5 %
50 - 59 Jahre     78,7 %
ab 60 Jahre 39,6 %
http://de.statista.com/statistik/daten/studie/72312/umfrage/altersverteilung-der-internetnutzer-in-deutschland/

 
Dadurch hat sich die Situation grundlegend verändert.   Wenn ich heute in Foren aktiv bin, erlebe ich deshalb nun Reaktionen, die meine bisherige Erfahrung mit der Tragweite und den Auswirkungen von Bildungs- und Wissensunterschieden weit übersteigen.  Inzwischen begegnet mir gelegentlich Dummheit und Ahnungslosigkeit in einer erschreckenden Form, die mir früher so krass nicht oft begegnet ist.   Hätte ich Probleme mit dem Selbstwertgefühl, die in vielen Beiträge im Web deutliche Inkompetenz würde das schnell ändern.  
Für mich selbst hat sich nichts geändert.   Ich schreibe Texte hauptsächlich mit dem Ziel, einen Partner zu finden.  Gelegentlich frage ich nach technischen Ratschlägen oder sonstigen Informationen oder suche Gedankenaustausch.  Ich schreibe meine Texte immer noch für die Menschen, die ausreichend gebildet und intelligent sind, um zu verstehen, worum es mir geht, und die fähig sind, entweder qualifizierte Antworten zu geben oder gar keine.     Solche Menschen gibt es auch noch, aber leider gehen sie unter in der Masse derjenigen, bei denen jeder Beitrag wieder ein Bilderbuchbeispiel für den Dunning-Kruger-Effekt ist:
"Als Dunning-Kruger-Effekt[1][2] bezeichnet man eine Spielart der kognitiven Verzerrung, nämlich die Tendenz inkompetenter Menschen, das eigene Können zu überschätzen und die Leistungen kompetenterer Personen zu unterschätzen."
http://de.wikipedia.org/wiki/Dunning-Kruger-Effekt

Ich weiß, inwiefern und wieviel ich anders bin als andere, vor allem als die, welche ich als Standardmenschen bezeichne.   Standardmenschen sind nach meiner Definition diejenigen, die unter anderem die soziale Norm der Instinkthaftigkeit und Triebdeterminiertheit implizit akzeptieren und sich bemühen, sie zu erfüllen.
Was für mich richtig ist, ist noch lange nicht für andere richtig und sicherlich nicht für die Standardmenschen.  Ich habe keinen Wunsch, Recht zu haben oder anderen einen Fehler nachzuweisen.  Ich habe keine Mission, die Meinung anderer zu ändern oder Leuten Ratschläge aufzudrängen, um die ich nicht gebeten worden bin.   
Ich schreibe meine Texte mit dem Ziel, einen gleichgesinnten Partner zu finden.    Alle, die anders sind als ich, die interessieren mich nicht, die existieren nicht für mich.   

Aber jeder, der gerade so eben lesen und schreiben kann, hat Zugang zu meinen Texten. Das wirkt leider auch auf alle diejenigen, die nichts verstehen oder alles mißzuverstehen, wie eine von mir nicht beabsichtigte Einladung zu von Ignoranz geprägten Äußerungen.   

Dabei gibt es mehrere Hauptreaktionstypen:

1.  Aggressive Reaktionen kommen von denjenigen, die merken, daß ich nicht für sie schreibe und daß sie mich nicht interessieren.   Sie akzeptieren nicht, daß nicht jeder, der Zugang dazu hat, etwas zu lesen, auch damit angesprochen ist. Wenn das nicht akzeptiert, sondern als narzisstische Kränkung mißverstanden wird, werden Provokationen als Mittel der Manipulation eingesetzt, um trotzdem meine Aufmerksamkeit zu erreichen.  

2. Ich werde angegriffen und kritisiert, und das wäre der einseitige Beginn eines von mir nicht beabsichtigten verbalen Machtkampfes, wenn ich mich darauf einlassen würde.  Dabei werden einzelne Sätze von mir mehr oder minder mißverstanden und/oder aus dem Zusammenhang gerissen und dann im Selbstverständnis des selbsternannten Gegners als vermeintlicher Etappensieg scheinbar widerlegt.  
Aber ich will keine Machtkämpfe und fange von mir aus keine an.   Wenn ich mich mißverständlich ausdrücke, dann liefere ich auch Erklärungen.   Aber wenn jemand bekämpft, was ich gar nicht geschrieben habe, dann ist jeder Versuch der Kommunikation vergeblich.    Wer gezielt nach etwas sucht, um sich anschließend einbilden zu können, er habe Recht und gepunktet, der findet auch etwas, was ihm zu diesem Zweck gereicht.   Das kann ich nicht vermeiden.

3.  Pauschale Besserwisserei.   Typische Standardmenschen erachten ihren Standard als allgemeingültig.    Wer dem Standard nicht entspricht, der ist Ausschuß und eine bemitleidensheischende Abweichung.  Diese Standardmenschen sind unfähig zu begreifen, daß für mich subjektiv meine Art des Andersseins richtig und passend ist, während ihr Standard für mich und auch für andere Außenseiter ungeeignet ist.   
Diese Standardmenschen glauben selbst allen Ernstes an ihren Ratschlag, ich bräuchte mich nur zu ändern und so zu werden wie sie, dann ginge es mir viel besser.   Die begreifen nicht nur nichts, die glauben sogar, sie wären schlauer als ich.   
Diese Besserwisserei hat zwei Ausprägungen, einmal in Kombination mit Aggression und einmal mit Herablassung.

Solange ich nach dem passenden Partner suche, werde ich weiterhin Dunning-Kruger-Reaktionen nicht vermeiden können.