Dienstag, 29. Juli 2014

10. Der Unterschied zwischen konstruktiver Kritik und verbalem Machtkampf

10.  Der Unterschied zwischen konstruktiver Kritik und verbalem Machtkampf

Dies ist eine Fortsetzung des Eintrages über den Unterschied zwischen Gedankenaustausch und Machtkampf:
http://gehirnorientiert-kopfgesteuert.blogspot.com/2014/07/7-metakommunikation-der-unterschied.html

Für die Analyse von Kritik gibt es mehrere Aspekte:

1. Proaktiv oder reaktiv

Reaktive Kritik ist, wie der Ausdruck schon sagt, eine Reaktion auf etwas, was vom Kritisierten selbst ausgeht.  Das kann die Antwort auf eine allgemein gestellte Frage sein.   Oder aber jemand, der persönlich davon betroffen ist, hat als Ziel die Änderung von Verhalten, das in direktem und individuellem Kontakt stört, schädigt oder verletzt. 

Proaktive Kritik ist hingegen das Herantragen von Kritik an jemanden ohne dessen Zutun. 

2.  Relevant oder irrelevant

Wenn jemand ausdrücklich nach einer kritischen Bewertung fragt, ist diese erwünscht.   

Wenn aber jemand eine Frage nach Informationen stellt oder öffentlich macht, daß er etwas sucht, dann ist jede Kritik an der Suche völlig irrelevant.    In einem Aufsatz in der Schule wäre das ein Fall von verfehltem Thema.   

Irrelevante Reaktionen dieser Art sind absurd.  Wenn jemand in einem Laden eine Kaffeemaschine kauft, kann er zu Recht erwarten, daß der Verkäufer ihm Kaffeemaschinen zeigt und ihn nicht in eine Diskussion verwickelt, in dem er ihm vom Kaffeetrinken abraten will.   Es ist auch respektlos, wenn nicht ernst genommen wird, daß jemand weiß, was er braucht und warum.   Jemand kann sich ja über die möglichen Gesundheitsgefahren von Kaffee informieren, wenn er das möchte.   Aber wenn er im Laden eine Kaffeemaschine kauft, dann hat er die Entscheidung getroffen und die Meinung des Verkäufers ist irrelevant.  

3.  Diffus oder invasiv

Wenn jemand Mißstände und Fehlverhalten allgemein anprangert, egal ob per Beitrag, Artikel, Plakat oder wo auch immer, dann hat jeder die Option, das, was ihn nicht interessiert oder stört, nicht zu lesen.  

Wenn aber jemand die Äußerungen eines anderen kommentierend kritisiert, ist das invasiv.    Wer invasive Kritik übt, kann also sowohl ein eingeladener Gast sein als auch ein unerwünschter Eindringling.

Wer etwas schreibt, um damit ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen, hat keine andere Wahl, als sich mit allen Reaktionen zu beschäftigen, und damit läßt es sich nicht vermeiden, auch allen Unrat zumindestens zur Kenntnis zu nehmen.   
Es ist nun einmal nicht das selbe, ob jemand ein Wahlplakat an einen Baum hängt oder Wahlpropaganda in den Briefkasten wirft.   Wenn der Briefkasten so mit Reklame zugestopft ist, daß man seine Briefe darin kaum noch findet, dann ist das lästig und nervig.  Zu viel invasive Kritik hat den selben Effekt.

  
4.  Sachthemen:   Evidenzbasiert oder Glaubensaussage

Sachliche, evidenzbasierte Kritik weist auf nachweisbar falsche Tatsachendarstellung hin.   Das ist wichtig, denn es ermöglicht dem Verfasser von öffentlichen Texten, Flüchtigkeitsfehler zu korrigieren.
  
Glaubensaussagen und Behauptungen als Kritik sind hingegen irrational und unsinnig.  

5.  Sachthemen:   Einschätzung oder Ignoranz des Wissenshintergrundes

Wenn jemand mit Aussagen eines anderen nicht einverstanden ist, dann kann das an einem unterschiedliches Wissensstand und unterschiedlicher Bildung auf diesem Gebiet liegen.   Wenn der Rezipient den Schreiber nicht oder kaum kennt, kann er aber nicht wissen, ob der andere mehr oder weniger weiß.  Deshalb ist Kritik in dieser Situation irrational.      

6.  Lebensführungsthemen:   Kenntnis oder Ignoranz der Individuellen Gegebenheiten

Nur wer jemanden sehr gut kennt und ausreichend informiert ist über dessen individuelle Persönlichkeit und Bedürfnisse, der ist in der Lage, Verhalten und Entscheidungen des anderen in Bezug auf dessen eigene Situation zu evaluieren und zu kritisieren.  

Wer Verhalten, Entscheidungen, Ziele, Ansprüche, Werte, Präferenzen eines Fremden kritisiert, indem er diese mit den eigenen vergleicht und sich selbst zum allgemeingültigen Maßstab macht, dessen Projektionen und Mutmaßungen sind ein gravierender Denkfehler.

7.  Kooperation oder Positionskampf 

Wenn man mit Aussagen eines anderen nicht einverstanden ist und das an ihn herantragen möchte, gibt es zwei Vorgehensweisen.  Bei der kooperativen gibt man Denkanstöße.    

Das heißt, man weist auf Aspekte hin und man stellt Fragen.  Beides soll zu Möglichkeit weiteren Nachdenkens hinführen.  Dabei läßt man es aber bewußt offen, daß man es sowohl für möglich erachtet, daß der andere diese Aspekte schon selbst verarbeitet hat oder daß man ihm damit neue Wege aufzeigt.   Keiner stellt sich über den anderen, für beide gibt es die Möglichkeit, etwas dazuzulernen.  
Kooperation hat außerdem die Prämisse, daß die Klärung von Flüchtigkeitsfehlern und Mißverständnissen immer Priorität hat, bevor jemand den Anspruch erhebt, etwas besser zu wissen.  

Beim Positionskampf geht es hingegen nicht oder nicht nur um das Thema.   Vielmehr postuliert der Kritisierende a priori seinen Anspruch auf eine höhere Position in der Besserwisserhierarchie.    Damit er subjektiv Recht haben kann, muß er automatisch auch einem anderen unterstellen, er habe Unrecht.     Der Kritisierte ist hier Mittel zum Zweck der Selbsterhöhung und Selbstbeweihräucherung.


Konstruktive Kritik ist kooperativ, reaktiv, relevant und basiert auf ausreichender Kenntnis der Evidenzen, des Wissensstandes und/oder der Persönlichkeit des anderen.   Kritik kann deshalb nur im persönlichen, intensiven und harmonischen Kontakt konstruktiv sein.   Im Falle von Antagonismus, Konfrontation und Kontroversen kann Kritik nicht konstruktiv sein, vielmehr ist sie oft destruktiv. 

Wenn Kritik proaktiv, irrelevant, invasiv ist und sich des Mittels der Glaubensbehauptungen bedient bei gleichzeitiger Ignoranz über Person und Hintergrund des anderen, dann ist dies ein Machtkampf.    Hordentiere kämpfen darum, wer das Alphatier wird, Boxer kämpfen mit den Fäusten, und manche haben ihre Hierarchiekämpfe in die verbale Arena verlegt.    Viele verwechseln Diskussionsforen mit Kampfarenen, wo sie ihren Hierarchieinstinkt auszuleben versuchen.  


Diskussionsforen sind deshalb generell kein passender Platz für Kritik.    Proaktive, aber relevante Antworten können auch kooperativ als Denkanstöße gegeben werden.  

 
Ich persönliche reagiere nur dann auf Beiträge, wenn ich entweder zustimmen kann oder auf eine Sachfrage eine Antwort weiß.   Wenn mich Aussagen anderer, mir völlig unbekannter Personen stören, dann lese ich einfach nicht weiter.    Ich habe keine Bedürfnis, Machtkämpfe zu initiieren.    Im Gegenteil, ich möchte diese vermeiden und es ist mir sehr lästig, wenn jemand ohne mein Zutun bei meinen eigenen Beiträgen solche Kämpfe vom Zaun brechen will.