Freitag, 13. Februar 2015

59. Die Ungleichheit vor dem Gesetz am Beispiel des §166 StGB

59.   Die Ungleichheit vor dem Gesetz am Beispiel des §166 StGB

Vor dem Gesetz sind angeblich alle gleich.   Leider aber stimmt das nicht wirklich.  Es gibt faktisch ein Zweiklassenrecht. 
Die Oberklasse sind diejenigen, die sich eine Rechtsschutzversicherung und/oder die durch Gebührensätze eindeutig festgelegten hohen Anwaltskosten leisten können.   
Die Unterklasse sind diejenigen, die sich das nicht leisten können.  

So weit es um eindeutig definiertes Fehlverhalten geht, hat jeder tatsächlich die gleiche Chance, Gesetze nicht zu übertreten.   Verhalten wie etwa einen Banküberfall kann jeder vermeiden.   
Aber je mehr Tatbestände umstritten und die Auslegung von Gesetzen im Ermessensspielraum eines Richters liegen, desto deutlicher wird die Benachteiligung derjenigen, für die Rechtsbeistand unerschwinglich ist.  
Das betrifft zum einen das Zivilrecht, wo jemand durch das hohe Kostenrisiko daran gehindert wird, sich gegen Unrecht zur Wehr zu setzen.   

Das betrifft aber vor allem das Risiko, unsinnige, umstrittene und unakzeptable Gesetze zu überschreiten. 

Der §166 StGB ist ein gutes Beispiel: 
§166 StGB
Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

(1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

Im Augenblick ist eine Petition beim Bundestag anhängig, mit der zu Recht die Abschaffung dieses Paragraphen gefordert wird.   
Interessant ist dabei die Diskussion auf dem Petitionsforum.  Es wurde darauf hingewiesen, daß viele oder sogar die meisten Anklagen mit einem Freispruch enden.   Das sollte eine Begründung für die Abschaffung dieses obsoleten Paragraphen sein. Dieser Hinweis wurde aber fälschlicherweise so interpretiert, als sei §166 StGB so harmlos und unschädlich, daß man ihn beibehalten könne.    

Dabei wurde völlig außer Acht gelassen, daß dieser Paragraph zwei Ebenen von Bedrohung darstellt und alles andere als harmlos ist.
  
Nur die Oberklasse mit dem Zugang zu Rechtsbeistand kann es sich das kalkulierte Risiko leisten, angeklagt zu werden und ein Verfahren bis zum Freispruch durchzuhalten.   Wer in der Oberklasse eine Anklage riskieren kann, hat dadurch die Freiheit, seine Meinung uneingeschränkt zu sagen oder zu schreiben.  
Für die Unterklasse ist schon eine Anklage eine finanzielle Existenzbedrohung, da auch ein nur wahrscheinlicher Freispruch ein hohes finanzielles Risiko darstellt.  Die Unterklasse wird dadurch mundtot gemacht und eingeschüchtert.  Aufgrund des nicht verkraftbaren finanziellen Risikos wird die Freiheit der uneingeschränkten Meinungsäußerung drastisch beschnitten.   

Die Bedrohung durch die Verfahrenskosten ist eine indirekte Form der selektiven Zensur.  Ich finde es empörend, daß uneingeschränkte Meinungsfreiheit nur für diejenigen gilt, die sich das Risiko der Anklage leisten können.