Freitag, 19. Dezember 2014

45. Die Partnersuche der ungeplanten Lebenskünstler

45.   Die Partnersuche der ungeplanten Lebenskünstler


1971 wurde BaFög eingeführt, und am Anfang gab es das sogar als vollen Zuschuß. Für viele war das eine Chance für Selbstverwirklichung ohne Verwertungszwang. Es war die Freiheit, ohne Sachzwänge das Wunschfach zu studieren.  

Ein Jahrzehnt später waren viele von uns ungeplant zu LebenskünstlerInnen geworden, und eine davon bin ich.
Vor allem im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften sowie für Lehrer gab es nicht geügend Stellen. Dazu kamen noch diejenigen, die mal in irgendeiner Form mit linker Politik sympathisiert hatten und die deshalb im öffentlichen Dienst nicht eingestellt wurden.

Man lebte entweder von staatlichen Transferleistungen, Unterstützung durch die Herkunftsfamilie oder hielt sich zwischen VHS und Taxifahren mit fachfremden oder prekären Tätigkeiten irgendwie über Wasser.
Im Gegensatz zu der Mehrheit der Bevölkerung, bei der Bildung und Einkommen meistens korrelieren, entstand hier eine Minderheit von Menschen, bei denen Bildung und finanzielle Situation krass auseinanderklaffen.

Wer aus dieser Gruppe jetzt als SeniorIn noch oder wieder ohne Partner ist, ist dadurch bei der Suche nach einem neuen Partner in einer völlig anderen Situation als die Mehrheit. Wer nicht in jungen Jahren einen passenden Partner gefunden hat, für den wird es mit dem Alter bekanntlich ja immer schwieriger. Für die Generation der heutigen Senioren kam das Internet mit den Möglichkeiten der Partnersuche leider viel zu spät.


Es besteht ja bekanntlich ein Unpassung innerhalb der Gesamtheit der Partnersuchenden.  
Solange Bildung und Einkommen korrelieren, fehlen passende Partner einerseits für die gebildeten und finanziell versorgten Frauen mit den guten Jobs und andererseits für die ungebildeten und arbeitslosen oder schlecht bezahlten Männer.

Aufgrund physiologischer Unterschiede zwischen den Geschlechtern unterscheiden sich die Bedürfnisse und Gründe für den Wunsch nach einer Beziehung.   Es sind vorwiegend körperliche Bedürfnisse, die Männer zur Partnersuche motivieren, während für Frauen emotionale Bedürfnisse im Vordergrund stehen.     

Männer erleben es deshalb oft subjektiv als völlig unproblematisch, wenn sie sich mit bildungsmäßig unterlegenen Frauen begnügen.  Wenn die Frau gut aussieht, dann empfinden viele Männer die Befriedigung physiologischer Bedürfnisse als ausreichende Rechtfertigung dieser Partnerwahl.   Für ihre intellektuellen Bedürfnisse haben diese Männer Kumpels und Kollegen, deshalb vermissen sie diesen Aspekt nicht bei der Partnerin.

Gutaussehende aber ungebildete Frauen wählen die besser gebildeten Männer nicht wegen deren Bildung, von der sie selbst inhaltlich oft überfordert sind.  Sie wählen sie nur dann, wenn Wohlstand und Status die Folge der Bildung sind.   Die intellektuellen Qualitäten gebildeter Männer sind hingegen nur für diejenigen Frauen wertvoll, die dieses Niveau selbst suchen und bieten.   Deshalb sind im Falle von Armut gebildete Männer für ungebildete Frauen nicht als Partner attraktiv.

Umgekehrt aber haben ungebildete Männer den gebildeten Frauen, die vor allem auf intellektuelle Gemeinsamkeiten Wert legen, nichts zu bieten.   

Daran wird sich leider nichts ändern, solange Männer sich bei der Partnerwahl hauptsächlich von Qualitäten des Körpers leiten lassen und das Gehirn der Frauen nicht wertschätzen und oft noch nicht einmal wahrnehmen.


Eigentlich sollte für die Gruppe der ungeplanten Lebenskünstler die Situation eine völlig andere sein. Denn sowohl Männer als auch Frauen sind gleichermaßen gebildet und doch arm.  Das ist die beste Ausgangslage für eine Beziehung auf Augenhöhe.   Zu zweit mit allen zur Verfügung stehenden Resourcen und angeeigneten kompensatorischen Fertigkeiten läßt sich nicht nur emotional, sondern auch materiell besser leben als alleine am Rande des Existenzminimums.  Das ist besonders wichtig bei der Altersarmut vieler ungeplanter Lebenskünstler.

Bei einem Mann mit passender Bildung und dem entsprechendem Einkommen wäre ich als Frau in der unangenehmen Rolle einer Bettlerin. Viele Männer mißverstehen ihre wirtschaftliche Macht leider auch als Rechtfertigung für Dominanzansprüche.

Einer der verarmten gebildeten Männer wäre deshalb besonders als Partner für mich geeignet.  Aber trotz meiner Bemühungen sind diese Männer unauffindbar.  In den Partnerschaftsbörsen scheint es sie nicht zu geben.
Ich vermute, daß diese Männer sich entmutigt und resigniert irgendwo in eine Ecke zurückgezogen haben und nie erfahren, daß es auch Frauen wie mich gibt, die nicht an Geld interessiert sind.  
Männer, die nicht reich, nicht groß, nicht stark und/oder nicht maskulin sind, werden von der Mehrheit der Standardfrauen oft abgelehnt.  Mich wundert es deshalb nicht, daß jemand aufgibt, wenn er zu oft Zurückweisung erlebt hat, nur weil er Frauen keinen Luxus bieten kann. 
Deshalb wären bei diesen Männern Standardfrauen keine Konkurrenz für mich.   Bei armen aber gebildeten Männern hätte ich eine echte Chance, aufgrund meiner kognitiven Qualitäten wertgeschätzt zu werden.   Wenn diese Männer aber unauffindbar sind, dann bringt es mir nichts, konkurrenzlos eine geeignete Partnerin zu sein.

Das Problem wird noch dadurch verschärft, daß die ungeplanten Lebenskünstler eine Untergruppe bilden von der Minderheit, die überhaupt studiert hat.  
In der Altersgruppe 60 bis 65 haben von den Männern 20,2 % und von den Frauen 10,1 % studiert, in der Altersgruppe 65 und älter sind es 15,9 % der Männer und 4,9 % der Frauen. 
http://www.bildungsbericht.de/daten2012/bb_2012.pdf