Samstag, 6. September 2014

20. Die unsichtbaren Männer

20. Die unsichtbaren Männer

Eine definierende Eigenschaft von Standardmenschen sind ihre deutlich ausgeprägten, die Arterhaltung ermöglichenden Verhaltenstendenzen.   Ihr Grund für die Paarung und die Kriterien der Partnerwahl dienen direkt oder indirekt der Fortpflanzung.
Entsprechend sind Unterschiede der Geschlechterrollen und der davon abgeleiteten Interessen sehr ausgeprägt und deutlich.   Den biologischen Unterschieden entsprechend zielen die Interessen auf unterschiedliche Weise darauf, für das andere Geschlecht körperlich attraktiv zu sein.  
Bei Standardfrauen sind das Mode und Kosmetik, Kochen und Haushalt, Kinder, bei den Standardmännern Sport, Fitness, Wettkampf, technische und andere Statussymbole.    Diese Interessen haben den Effekt, daß Standardfrauen und Standardmänner sehr getrennte Lebensbereiche haben.  
Zwar gibt es auch einige geschlechtsneutrale Hobbies und Interessen, aber die reichen bei Standardmenschen nicht aus für tiefe nichtkörperliche Bindungen.
 
Deshalb verlieren viele alleinstehende Standardmenschen ab einem bestimmten Alter unter bestimmten Voraussetzungen das Interesse daran, neue Paarbindungen einzugehen.   Wenn die Kinder der Standardfrauen das Nest verlassen haben, teilen sie die Standardinteressen am liebsten mit anderen Standardfrauen, wenn bei den Standardmännern der Trieb nachläßt, teilen sie die Standardinteressen am ehesten mit anderen Standardmännern.  


Unter den Nichtstandardmenschen gibt es eine Minderheit, bei der die Situation bei der Partnerwahl sehr asymmetrisch ist.    Das sind Menschen mit hoher Bildung, deren überwiegende Interessengebiete wie Kultur, Literatur, Philosophie, Wissenschaft und Technik geschlechtsneutral sind und bei denen deshalb die Unterschiede zwischen den Geschlechterrollen weit weniger ausgeprägt sind.   Je höher die Bildung, desto wichtiger sind die geschlechtsneutralen Interessen für die Paarbindung.   Genauer gesagt, desto wichtiger könnten sie sein, würden nicht Traditionen und soziale Normen dem entgegenstehen und das behindern.

Historisch gesehen war es immer so, daß der Zugang zu Bildung, Wissen, Ausbildung mehr oder minder stark den Männern vorbehalten und den Frauen verschlossen war.    Dieser Unterschied ist auch in meiner Generation noch deutlich:
In der Altersgruppe 60 bis 65 haben von den Männern 20,2 % und von den Frauen 10,1 % studiert, in der Altersgruppe 65 und älter sind es 15,9 % der Männer und 4,9 % der Frauen.  
http://www.bildungsbericht.de/daten2012/bb_2012.pdf
Für gebildete Männer gab und gibt es deshalb nicht ausreichend gebildete und rational denkende Partnerinnen, vor allem solche mit Interesse an Wissenschaft und Technik.    

Deshalb und erleichtert durch die männliche Prädisposition dazu, ihre Triebe selbst ohne nichtkörperliche Bindungen ausleben zu müssen, hat sich bei Männern die Tradition der zweigeteilten Bedürfnisorientierung entwickelt.   Frauen wurden auf ihren Körper reduziert, und dafür begnügten sich auch gebildete Männer mit einer Standardfrau.    Ihre kognitiven Belange und intellektuellen Bedürfnisse pflegten und betrieben sie in der Freundschaft und Zusammenarbeit mit anderen Männern.   

Da die kognitiven Fähigkeiten von Frauen aber nicht geringer sind als die der Männer, wenn Frauen den gleichen Zugang zu Bildung haben, ist das eine Tradition, die nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer Nachteile bringt.  
Wenn jemand aufgrund seiner kognitiven Bedürfnisse solche Interessen oft und intensiv teilen möchte, dann können auch die Gemeinsamkeiten in diesem Bereich allein schon ausreichen als Grund, eine Paarbeziehung einzugehen. Bei diesen Menschen sind die körperlichen Aspekte einer Beziehung nebensächlich.   

Viele der gebildeten Nichtstandardfrauen haben solche Prioritäten, während selbst bei den gebildeten Nichtstandardmännern die Tradition noch immer so stark wirkt, daß sie eine Beziehung mit einer Frau nur solange als erstrebenswert erachten, wie dabei Triebbefriedigung im Vordergrund steht.    
Daß eine sapiophile Beziehung mit dem Schwerpunkt auf intellektueller und emotionaler Intimität zwischen gebildeten Menschen auch für einen Mann beglückend sein kann, widerspricht der Tradition und sozialen Norm.   Auf die Idee, daß eine Beziehung mit einer Frau auch dann erstrebenswert sein kann, wenn das nicht mehr oder nur in geringem Ausmaß auf der Triebbefriedigung beruht, kommen diese Männer oft gar nicht, das können sie sich nicht einmal vorstellen.  Daß es mit der Minderheit der gebildeten Frauen auch integrale, ganzheitliche Beziehungen geben kann, das ist im Bewußtsein vieler Männer noch immer nicht angekommen.  

Zudem überschätzen und mißverstehen viele Männer die körperlichen Erwartungen und Ansprüche der Frauen, während sie die Bedeutung der kognitiven Fähigkeiten unterschätzen, nicht wahrnehmen und das Glück intellektueller Nähe nicht zu schätzen wissen.    Das bedeutet, daß Männer, deren Triebe nachlassen, sich oft von der Partnersuche nur deshalb zurückziehen, weil sie befürchten, daß sie deshalb von Frauen abgelehnt würden.  
Es ist tragisch, daß selbst gebildete Nichtstandardmänner keine Ahnung zu haben scheinen, welchen Wert sie für Nichtstandardfrauen haben können, gerade weil sie nicht dem körperorientierten Standard entsprechen. 

Das hat Auswirkungen auf die Partnersuche im Alter.   

Sobald die Triebe nachlassen, sehen solche Männer subjektiv leider keinen Grund mehr, nach einer Partnerin zu suchen. Diese Männer erleben subjektiv keinen Verlust an intellektueller Lebensqualität, da sie sich für diese Bedürfnisse ja schon immer anderen Männern zugewandt hatten.  Dieser Effekt wird nicht davon beeinflußt, daß sich die Situation durch die unterschiedliche Lebenserwartung verschiebt.   
In der Altersgruppe 60 bis 70 sind 51,3% weiblich und 48,7% männlich.  
http://www.sozialpolitik-aktuell.de/tl_files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Bevoelkerung/Datensammlung/PDF-Dateien/abbVIII3.pdf
Das bedeutet, daß zwar relativ ein Frauenüberschuß besteht, während absolut die Zahl der studierten Frauen je studiertem Mann erhöht ist. 

  
Für gebildete Nichtstandardfrauen ist die Situation im Alter hingegen völlig anders.    Der Umgang mit Standardfrauen ist für sie in jedem Alter oft unbefriedigend, weil sie deren Standardinteressen nicht teilen.    Für sie gibt es weit mehr Männer als Frauen, mit denen es intellektuelle Gemeinsamkeiten gibt.   Für eine solche Frau ändert sich im Alter nichts, ihr zentrales Bedürfnis in einer Beziehung ist immer die intellektuelle Nähe und Gemeinsamkeit, die Gleichgesinntheit.  

 
Ich bin eine solche sapiophile, kopfgesteuerte Frau, die einen ebensolchen Partner sucht.   Wenn ich die Profile auf Partnerportalen ansehe, habe ich den Eindruck, daß die von mir gesuchten, als Partner geeigneten Männer immer unsichtbarer werden.  Je stärker die Triebe, desto aktiver scheinen die Männer zu suchen.   
Hingegen scheinen fast alle Männer irgendwo im Verborgenen zu verschwinden, sobald ihre Triebe nachlassen.   Dann sitzen sie irgendwo dort, wo ich sie nicht finden kann und sie suchen auch nicht nach mir.   Der Platz in ihrem Leben für den intellektuellen Austausch, den ich als wichtigsten Bestandteil einer Beziehung suche, der ist bei ihnen schon gegenseitig oder mit anderen, gebildeten Männern in Beziehungen mit Standardfrauen besetzt.

Es ist wirklich sehr tragisch.  Genau dann, wenn das übelste im Mann, die Triebsteuerung, endlich nachläßt und wenn Männer am wertvollsten werden für eine sapiophile Frau, genau dann werden sie unsichtbar und unauffindbar.