Freitag, 27. März 2015

60. Fernsehen ist Malware für das Gehirn: Wie Menschen standardisiert werden

60.  Fernsehen ist Malware für das Gehirn:  Wie Menschen standardisiert werden

1.  Vorneweg

Ich war umständehalber vorübergehend in der Situation, passiv und ohne eigene Mitwirkung bei der Programmwahl den Fernsehkonsum einer betagten Bildzeitungsleserin mitzuerleben oder genauer gesagt, zu erdulden.   
Die darauf beruhenden folgenden Beobachtungen sind nicht repräsentativ, weil sie nicht auf allen Arten von Programmangeboten basieren.   Vor allem waren meine Beobachtungen auf die eher subtilen Wirkungen beschränkt, während ich die übelsten verrohenden Wirkungen durch drastisch dargestellte physische Gewalt und pornographisch verklärten Frauenmißbrauch nicht ertragen mußte.  
    
Auch wußte ich häufig nicht, ob es sich um einen teils durch Rundfunkgebühren oder um einen nur durch Werbung finanzierten Sender handelte.   Aber dann, wenn ich das wußte, konnte ich keinerlei Qualitätsunterschied bemerken.  Von einem angeblichen Bildungsauftrag habe ich auch bei Sendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens nichts bemerkt.  Es sei denn, Bildung wäre ein Synonym für Verdummung.
Die Zumutung, dafür Gebühren bezahlen zu müssen, läßt sich wirklich in keinster Weise rechtfertigen.  
Die Erfahrung hat mich voll darin bestätigt, daß das meiste, was im Fernsehen kommt, schwerer zu ertragen und störender ist als der Lärm einer Bohrmaschine.   Daß ich mit den Zwangsgebühren die Verdummung der Massen sponsern muß, ist grotesk.   Ich hoffe, niemand kommt irgendwann auf die Idee, der Bildungsauftrag des Staates würde auch noch rechtfertigen, ein öffentlich-rechtliches Verdummungsblatt auf Bildzeitungsniveau gegen Zwangsgebühr an alle Haushalte zu verteilen.  

Ich bin einige Male heftig angegriffen worden, weil ich den Begriff 'Standardmensch' verwendet habe.   Wer schon als Kleinkind den Effekten des Fernsehens ausgesetzt ist, wird dadurch zwangsläufig standardisiert und weiß es selbst nicht einmal.  
Ich selbst bin ohne Fernsehen aufgewachsen und habe dadurch einen kritischen Abstand dazu.   Auf die Entwicklung des Gehirns von diejenigen, die deutlich jünger sind als ich und schon von klein auf in diese Scheinwelt hineingewachsen sind und noch hineinwachsen, hat diese Verdummung und Abstumpfung einen fatalen Effekt:  Sie übernehmen mit einer erschreckenden Selbstverständlichkeit einiges fatales Verhalten, weil für sie die Alternativen nie denkbar werden konnten.
      

2.  Ziel und Zweck des Fernsehens aus der Sicht der Macher

Das ultimative Ziel des Fernsehens ist es, hedonistische Konsumenten dazu zu bewegen, Geld auszugeben.  Dadurch sollen sie zum Wachstum der Wirtschaft beizutragen und damit dazu, daß die wirtschaftlich Mächtigen noch reicher und mächtiger werden.   Jede anderweitige Behauptung ist entweder Heuchelei oder Selbsttäuschung.  
Die Qualität von Sendungen wird gleichgesetzt mit dem Erfolg bei der Erreichung dieses Zieles.  Dieser Erfolg wird gemessen an der Einschaltquote und per Marktforschung am Zusammenhang zwischen Werbung und Kaufverhalten.   Eine aus der Sicht der Macher gelungene Sendung hat viele Zuschauer, die sich die Werbung ansehen und anschließend die beworbenen Produkte kaufen.   Denn nur von diesem Erfolg hängt das Einkommen der Manager und Programmdirektoren der Fernsehanstalten ab.  
Solange die Masse der tumben Konsumenten kauft, was beworben wird, sind die inhaltlichen Interessen der gebildeten und intellektuell anspruchsvollen Minderheit bedeutungslos.  Wer Zwangsgebühren bezahlen muß, ohne sich dagegen wehren zu können, wer dann zusätzlich auch noch zu einer nicht durch Werbung verführbaren Minderheit gehört, dessen inhaltliche Interessen sind für die Macher bedeutungslos.  

3.  Verhaltenstendenzen, Bedürfnisse und Schwachstellen der Zuschauer  

Die Macher sind bestrebt, bei unterschiedlichen Zielgruppen zunächst eine Schwachstelle zu finden, um sie überhaupt als Zuschauen zu ködern.   Sobald sie erst einmal kauend und ansonsten passiv vor der Glotze sitzen, werden dann geschickt andere Bedürfnisse angesprochen, geweckt, bewußt gemacht und/oder verstärkt, damit sie dabei bleiben und nicht zu einem anderen Programm weiter zappen. 
  
Mit Schwachstellen meine ich die bequemen, primitiven Regungen derjenigen, die von kognitiv wertvolleren und anspruchsvolleren Betätigungen und Lebensinhalten überfordert sind oder aufgrund von Stress sich vorübergehend so fühlen.  

Die anerzogene Schlüsselschwachstelle ist das selbstverständliche, automatische, nicht mehr hinterfragte Anschalten des Fernsehgerätes bei denjenigen, die schon als Kind mit dem ständig laufenden Fernsehen im Hintergrund aufgewachsen sind.   Die Medienkompetenz der bewußten aktiven Medienwahl fehlt.  Wer sich passiv dem Gebotenen aussetzt, öffnet damit den Zugang zu seinen weiteren Schwachstellen.  

3. 1. Unbewußte Schwachstellen:

Der Erfolg der Macher bei der Erhöhung der Einschaltquoten beruht auf der geschickten Verführung und Verzerrung durch das Ansprechen der Schwachstellen, obwohl sie vermutlich selbst keine bewußte Kenntnis dieser Effekte haben.

3. 1. 1. Im menschlichen Gehirn gibt es einen Gegensatz zwischen einerseits den evolutionär viel später entstandenen rationalen Fähigkeiten zu langfristig orientiertem und auf Erfahrung aufbauendem Verhalten und der dafür nötigen Selbstkontrolle und andererseits den unbewußten, evolutionär archaischen Verhaltenstendenzen, die sich nicht qualitativ von denen vieler Tiere unterscheiden.  
Diese entgegengesetzten Tendenzen ergeben als aktuelles Verhalten ein labiles, häufig nur temporäres Nettoergebnis.    Welche relative Stärke jede dieser beiden Tendenzen auf das Verhalten hat, wird durch äußere Einflüsse beeinflußt und kann sich immer wieder ändern.
  
Die archaischen Verhaltenstendenzen sind die Instinkte, die direkt oder indirekt der Arterhaltung dienen.  Dazu gehören in erster Linie
  • der Fortpflanzungsinstinkt in der weiblichen Variante, also Mütterlichkeit
  • der Fortpflanzungsinstinkt in der männlichen Variante, also die sexuelle Verfügbarkeit von Frauen
  • der Hierarchieinstinkt
  • der Herdeninstinkt
  • der Ingroup-Outgroup-Instinkt.  
Aus der Perspektive von Rationalität und Intellektualität sind diese Instinkte Schwachstellen, die für viel Elend sorgen, allerdings hauptsächlich nicht bei denjenigen, die sich selbst von den Instinkten leiten lassen, sondern bei deren Opfern.   
Das Ausleben der ersten vier davon wird im Fernsehen als positive soziale Norm präsentiert.   Nur der Ingroup-Outgrop-Instinkt wird nicht bedient, weil ja auch die vielen Menschen mit Migrationshintergrund zur Quote beitragen sollen.  

3. 1. 2.  Es gibt perzeptive Beschränkungen, weil die Fähigkeit zur Verarbeitung von Stimuli aus der Umwelt sich evolutionär entwickelt hat, als es die täuschend echt die Natur imitierenden Medien noch nicht gab.  

Bewußt weiß selbstverständlich jeder ab einem bestimmten Alter, daß der täuschend echt wirkende und sprechende, lebensgroße Kopf in gestochen scharfer Qualität in wenigen Metern Abstand eben doch kein wirklicher Mensch, sondern nur ein Abbild auf einem Bildschirm ist.   
Die unbewußte Wahrnehmung aber reagiert trotzdem wie ein Zeuge oder Interaktionspartner in der Gegenwart eines sich in geringem Abstand befindlichen wirklichen Menschen.   
Besonders schwerwiegend ist der Effekt, wenn Kleinkinder dieser Täuschung ausgesetzt sind, lange bevor ihr Verstand das begreifen kann.   Aber auch Fernsehzuschauer, die müde, passiv oder abgelenkt sind, können ihrer unbewußt getäuschten Wahrnehmung häufig wenig an kognitiv aktiver Distanzierung entgegen setzen.  

So entsteht trotz der tatsächlichen Asymmetrie eine Pseudonähe.   Für den Zuschauer entsteht eine einseitige Form von Intimität und Vertrautheit, obwohl die abgebildete Person diesen Zuschauer ja überhaupt nicht kennt und nicht einmal weiß, daß er existiert.    Echte Nähe kann nur bei Gegenseitigkeit entstehen, aber die ist ja nicht möglich.   

3. 2.  Kognitive Schwachstellen:

Gutgläubigkeit, Ignoranz und Verführbarkeit werden dazu verwendet, Interesse daran zu wecken, wie sich Probleme vermeintlich oder angeblich mit bezahltem Konsum lösen lassen.  Das gab es zwar schon lange vor dem Fernsehen.  Religionen, Scharlatane und Quacksalber haben während der gesamten Menschheitsgeschichte davon profitiert.   Das Fernsehen macht sich diese kognitive Schwachstelle zunutze, um solche Bedürfnisse und Pseudobedürfnisse zu wecken oder anzusprechen, die sich durch beworbene Produkte befriedigen lassen.   
Auffallend waren in diesem Zusammenhang die sehr häufigen Kochvorführungen.   Essen ist im Gegensatz zu vielen der beworbenen Produkten nicht eine Option, sondern eine unvermeidbare Notwendigkeit.   Deshalb ist es hier besonders einfach, bei schon vorhandenem generellem Interesse bestimmte Produkte zu bewerben.

4.  Soziale Norm

Massenprodukte lassen sich am bequemsten, erfolgreichsten und einfachsten an standardisierte Einheitskonsumenten verkaufen, die möglichst alle auf die selben Werbebotschaften reagieren.  Die soziale Norm des standardisiert optimierten Konsumenten wird durch die Inhalte der Fernsehsendungen erzeugt oder verstärkt.

Die soziale Norm des Fernsehens sind Standardmenschen, die zum einen ihre Instinkte aus 3.1.1. rückhaltlos ausleben und zum anderen auch nicht dadurch geschädigt werden, wenn andere das tun.   Denn wer geschädigt wird, hat möglicherweise andere Prioritäten als den Konsum beworbener Produkte oder vielleicht auch gar nicht die nötige Kaufkraft.  

Das heißt aber nicht, daß es in jeder Hinsicht nur einen Standardmenschen gibt, vielmehr ist die Standardisierung zielgruppenabhängig.   So wie sich die Zielgruppen für Sportgeräte von der für Nahrungsergänzungsmittel unterscheiden, so auch die jeweiligen Standardmenschen.   Für meine Betrachtungen gibt es aber trotzdem einige grundlegende Gemeinsamkeiten bei der Standardisierung.
4. 1.  Fernseh-Standardmenschen sind gierig und identifizieren sich mit Status und Besitz.   Wer sich etwas leistet, das er sich anscheinend leisten kann, erhöht subjektiv seinen Status.   Alles wesentliche im Leben wird als käuflich dargestellt.   Was sich nicht gegen Geld eintauschen läßt, ist bedeutungslos.
Status- und besitzgierige Menschen reagieren auf Werbung.   Mit nichtmateriellen, ideellen Werten läßt sich kein Gewinn erzielen.

4. 2.  Fernseh-Standardmenschen sind rücksichtslose Kämpfer im nie endenden Konkurrenzkampf um höhere Positionen in der Hierarchie von Macht, Ansehen, Status und Kontrolle über Ressourcen.  
Deshalb wird mit Gewinnspielen und Wettbewerben aller Art das Besiegen zum nachahmenswerten Kult erhoben.   Da werden Wettkämpfe im Wissen, im Kochen, im Singen und sogar im Bezirzen eines Mannes veranstaltet.        
Allerdings wird dafür gesorgt, daß in der Sicht der Zuschauer die Realität völlig verzerrt erscheint.   In jedem dieser Wettbewerbe gibt es mindestens einen Gewinner oder Sieger und einen oder nur wenige Verlierer.   Dabei wird ausgenutzt, daß realistisches statistisches Wahrscheinlichkeitsdenken eine wenig verbreitete Fähigkeit ist. 
Die Wahrscheinlichkeit, ein Gewinner zu werden, ist nicht nur im wirklichen Leben sehr gering.   Wenn Millionen Menschen Lotto spielen, gibt es zwar regelmäßig einige Gewinner, aber daß das nur möglich ist, weil auch Millionen von Menschen für die Teilnahme bezahlt und nichts gewonnen haben, das wird nicht wahrgenommen.   Über Lottogewinner berichten die Medien, die vielen Verlierer oder Nichtgewinner sind unbeachtet und unsichtbar.   
Auch bei den Wettkämpfen im Fernsehen haben sich im Vorfeld viele Tausende vergeblich um die Teilnahme beworben.    Wahrgenommen werden nur die sehr wenigen, die die Chance zur Teilnahme bekommen haben.
Solche Konkurrenzkämpfer lassen sich in einem kapitalistischen System viel leichter von den noch Mächtigeren ausbeuten als Menschen, die auf Solidarität und Zusammenarbeit Wert legen.  Statussymbole und andere Mittel in diesem Kampf lassen sich profitbringend vermarkten.   Kooperationsfähigkeit bringt keinen Profit.
4. 3.  Fernseh-Standardmenschen halten die Aufzucht von Kindern für den selbstverständlichen Lebenszweck von Frauen.   Auch wird suggeriert, daß gute Eltern keine finanziellen Opfer für ihre Kinder scheuen.  
Der spezielle Bedarf von Kindern ist ein beworbener Markt.    

4. 4.  Fernseh-Standardmenschen akzeptieren den instinktiven, promisken und überstarken Kopulationstrieb der Männer als eine erstrebenswerte Eigenschaft und als ein nicht zu hinterfragendes Recht.   In völliger Ignoranz von evolutionsbiologischen Unterschieden sind in dieser sozialen Norm Frauen Wesen, die es auch selbst als ihre Lebensaufgabe ansehen, jederzeit als Kopulationsobjekt zur Verfügung zu stehen und die es als Erfüllung erleben, wenn sie von Männern benutzt werden.
Pornographie und Prostitution sind ein riesiger Markt.  Es gibt höchstwahrscheinlich sehr viel Werbung, die in mehr oder minder pornographische Sendungen eingeblendet wird.  Mit der Darstellung von Frauen als Closchüsseln für Männer läßt sich Geld machen, auch weil Männer bisher noch häufig höhere Einkommen und dadurch mehr Kaufkraft haben als Frauen.  Die Verteidigung der Würde von Frauen würde hingegen keinen pekuniären Nutzen bringen.      
4. 5.  Fernseh-Standardmenschen bewerten als Nebeneffekt von 4.4. Frauen danach, wie sehr durch Signale ihrer Körper bei Männern ein Kopulationsbegehren hervorgerufen wird, unabhängig von den kognitiven Lebenszielen der Frauen. 
Standardfrauen werden so weit verbogen, daß ihr eigenes Selbstwertgefühl davon abhängt, selbst dann, wenn das Kopulationsbegehren fremder Männer rational keinerlei Gewinn bringt, weil sie in einer festen Partnerschaft leben, gebildet und beruflich erfolgreich sind.   Das betrifft sogar Frauen, die sich von aktiv ausgedrückem Kopulationsansinnen belästigt und bedroht fühlen.   Trotzdem sind sie bereit, Geld dafür auszugeben, ihren Körper möglichst begehrenswert für Männertriebe zu machen.
Mode, Schmuck, Kosmetik, Schönheitsoperationen und andere Methoden der Körpergestaltung zum Zweck des Begehrenswertseins sind ein beworbener Markt.  

4. 6. Fernseh-Standardmenschen streben nach Konformität und Herdenzugehörigkeit.  Durch Paraphernalien läßt sich das sichtbar ausdrücken.   Im Fernsehen werden solche, als Mode immer wieder wechselnde Zeichen bekannt gemacht.
Die Paraphernalien sind ein beworbener Markt.

4. 7.  Fernseh-Standardmenschen akzeptieren trotz der krassen sozialen Unterschiede den Kapitalismus als eine gute Gesellschaftsordnung.   Das Fernsehen ermöglicht es ihnen, sich selbst mit den Erfolgreichen und Promis zu identifizieren.  
Die standardisierten Zuschauer erleben eine Pseudonähe, wie in 3.1.2. begründet.   Die Pseudonähe überdeckt das Wissen um die tatsächliche Unerreichbarkeit.   Stattdessen entsteht ein einseitiges Gefühl von Vertrautheit, die Erfolgreichen erscheinen wie vertraute Menschen, sogar wie Freunde, vor allem, wenn sie in der Banalität ihres eigenen Alltags gezeigt werden.
Da glaubt dann jeder, leicht auch selbst die Rolle des zufällig Erfolgreichen übernehmen zu können, es wird suggeriert, daß die eigene banale Existenz ja nur eine Warteschleife ist, bis man auch so weit ist, angeblich kann ja jeder erfolgreich sein und zum Promi werden.  Deswegen werden immer wieder neue vorgestellt.
Wer das gleiche kauft und konsumiert wie die Promis, der glaubt, damit schon einen wichtigen Schritte in die gewünschte Richtung zu tun.
Nicht so erfolgreiche Menschen werden dann nicht mehr als Verlierer oder Opfer eines ungerechten Systems wahrgenommen, sondern als Versager, die selbst schuld sind und gegenüber denen man sich aufgewertet fühlen kann.  

In einer Sendung wurden angeblich edle Millionäre präsentiert.  Die wurden nicht nur dabei begleitet, wie sich für einige Tage in der Rolle eines armen Freiwilligen in sozialen Einrichtungen umgesehen haben, sondern auch noch danach bei der publikumswirksamen Verteilung von Spenden.   Nur kamen mir die Typen eher wie auf einem Abenteuerurlaub vor. 
Die eigentliche Frage, warum solche Einrichtungen überhaupt auf Spenden angewiesen sind, während an so vielen Stellen Geld verschwendet wird, wurde nicht gestellt.   Und noch viel weniger die Frage, mit welcher unfairer Gier gegenüber Kunden oder Untergebenen der edle Spender seine Millionen eigentlich errafft hat.  
Mit solchen Sendungen wird von der sozialen Ungerechtigkeit abgelenkt und die grundlegenden Fehler im System werden verharmlost.   Wer unzufrieden ist, soll seine Lebenszufriedenheit durch den Konsum beworbener Produkte verbessern.   Wer die Gesellschaft verändern möchte, eignet sich nicht zum tumben Konsumenten.  Mit sozialkritischen Menschen oder Revolutionären läßt sich kein Profit machen.    

5.  Psychologische Effekte auf die Zuschauer

5. 1. Subjektiv-kompensatorische Effekte

Einer der wesentlichen Effekte, die das Fernsehen für Zuschauer attraktiv machen, ist die Möglichkeit, sich selbst subjektiv aufzuwerten.  
Eine Methode dafür ist die Identifikation mit Siegern und Erfolgreichen.  Eine andere ist der Vergleich mit anderen.  Das kann Schadenfreude gegenüber Verlierern sein, oder einfach nur der Trost, daß es anderen weit schlechter geht als einem selbst. 

Als weiterer Effekt werden Hoffnungen und Illusionen erzeugt, sowohl allgemein durch statistisch unrealistische Erwartungen, als auch durch falsche Versprechungen in der Werbung.  Das sorgt dann vorübergehend für Entlastung und Erleichterung, nicht nur bei echten Problem und schon vorhandenen Ängsten und Sorgen, sondern auch bei solchen, die durch das Fernsehen erst künstlich erzeugt wurden.   

Außerdem bringt das Rollenmodell des Standardmenschen eine subjektive Kurzzeitentlastung für diejenigen, deren Verhalten bisher noch von rational begründeter Rücksicht und Voraussicht beschränkt wurde.  Bei dieser Entlastung wird schädliches Verhalten verharmlost, weil zunächst im Erleben des Handelnden häufig nur andere geschädigt werden.   Die letztendlich oft auch kontraproduktiven Spätfolgen dieser Verharmlosung werden im Fernsehen nicht gezeigt.  
Wem beispielsweise immer wieder von positiv dargestellten Vorbildern vorgelebt wird, daß Fremdgehen angeblich ein akzeptables Verhalten ist, das eine Standardfrau fernsehkonform unversehrt mit einem Schulterzucken hinnimmt, der wird irgendwann seiner eigenen Partnerin ohne jegliches Unrechtsbewußtsein untreu.   
Wenn aber seine Partnerin stattdessen so verletzt wird, daß sie die Beziehung beendet, dann bemerkt er selbst die Nachteile durch die Übernahme der nur in einer Scheinwelt gültigen sozialen Norm erst, wenn es zu spät ist.  

5. 2.  Effekte durch Mitmachen

5. 2. 1.  Wer sich aktiv beteiligt, auch dann, wenn er nur per Anruf oder sonstwie eine Stimme abgibt, erlebt dies als Teilhabe an einer Macht, die ihm das Fernsehen ermöglicht. 

5. 2. 2.  Wer es schafft, als Mitspieler, Mitkämpfer oder Interviewpartner selbst ins Fernsehen zu kommen, fühlt sich dadurch aufgewertet, selbst dann, wenn er dabei einen wenig vorteilhaften Eindruck macht.

5. 3. Nebeneffekte

5. 3. 1.   Einer der übelsten und gefährlichsten Nebeneffekte des Wettbewerbs um die Zuschauer ist der Abstumpfungseffekt.   Jeder kennt den vorübergehenden Ermüdungs- und Übersättigungseffekt nach zu vielen Bildern in einer Galerie oder zu vielen Tieren im Zoo, wenn man am besten die Augen schließt oder den Sonnenuntergang auf sich wirken läßt.  
Wer aber gerade im Fernsehen Szenen menschlichen Leidens gesehen hat, der soll ja im Sinne der Macher dann nicht einfach abschalten und seine Wahrnehmung durch das Verarbeiten sich regenerieren lassen, der soll am Bildschirm gehalten werden.   Also wird der Ermüdung eine Verschärfung der Dramatik entgegengesetzt.   
Das aber hat fatale Wirkungen wegen der in 3. 1. 2. beschriebenen perzeptiven Beschränkung.   Bewußt setzt sich jemand den Bildern auf einem Bildschirm unbesorgt aus, weil er ja weiß, daß er das nicht selbst als Wirklichkeit erlebt.  Das gilt vor allem für Spielfilme.   Leider gilt das aufgrund des Ingroup-Outgroup-Instinktes mit Einschränkungen auch dann, wenn Katastrophen und Grausamkeiten in weit entfernten und sehr unterschiedlichen Gesellschaften der dritten Welt gezeigt werden.   Von Dokumentationen über das Elend der Kindersklaven auf afrikanischen Kakaoplantagen lassen sich nur die wenigsten Zuschauer die Lust auf Schokolade verderben.

Trotz aller bewußten Distanzierung wird die automatische Perzeption der Zuschauer für das zu drastisch und häufig gezeigte Leid schleichend abgestumpft.  Das wirkt sich allmählich auch auf den Umgang mit anderen Menschen im wirklichen Leben aus.   Vor allem dann, wenn das zugefügte Leid nicht offensichtliche, blutige Wunden, sondern unsichtbare emotionale Verletzungen erzeugt.  

5. 3. 1.  Der weitere Nebeneffekt ist Imitationslernen.   Dabei wird nicht nur das durch die bewunderten Rollenmodelle der Standardmenschen gezeigte Verhalten imitiert.  Schlimmer ist, daß dabei auch Erwartungen einer völlig fehleingeschätzten Realität gelernt werden, bezogen auf die angeblich erfolgenden oder ausbleibenden Auswirkungen des imitierten Verhaltens auf die Zielperson.

Die als Rollenmodelle präsentierten Standardmenschen sind nicht nur abgestumpft in dem, was sie proaktiv anderen antun, zu ihrer dargestellten Perfektion gehört auch, daß sie auch selbst abgebrüht und robust sind im Einstecken und Verkraften, sobald sie selbst Zielperson von Verhalten sind.   Standardmenschen sind keine verletzlichen Opfer, als Empfänger und Ziel des Verhaltens anderer sind sie unverwüstlich.   Wer verletzlich ist, ist kein intakter, sondern ein defekter Standardmensch, sowohl in seiner eigenen als auch in der Bewertung anderer.  
  
Dieses Rollenmodell der unverwüstlichen Zielperson hat mehrere Implikationen: 
  • Dem Standardmenschen als Zielperson wird Robustheit als Teil des idealen Selbstes für Bemühungen um Selbstoptimierung vorgegeben. 
  • Wer nicht robust, sondern verletzlich ist, fühlt sich nicht als Opfer von ungerechtfertigt schlechter Behandlung, sondern als Versager bei der Selbstoptimierung.   Das verstärkt das Elend der Opfer.
  • Der proaktive, abgestumpfte Standardmensch hat keinerlei Grund zur Rücksicht.   Was die Zielperson erlebt, braucht ihn nicht zu kümmern.  Die Rücksicht, die er selbst nicht benötigt, nimmt er auch nicht auf andere.
5. 3. 3.   Die unkritische und unreflektierte Akzeptanz einer vorgelebten Scheinwelt führt zu Denkentwöhnung und Denkschwäche.   Die rücksichtslosen, hemmungslos konsumierenden hedonistischen Standardmenschen im Fernsehen werden als glücklich und zufrieden dargestellt, weil sie alle intellektuellen Anstrengungen vermeiden.    
Der Fernsehzuschauer muß sich nicht um eigene Lebensentwürfe oder Wertesysteme bemühen, die des Standardmenschen werden in mühelos konsumierbarer Form präsentiert.   Um die Vorbilder im Fernsehen zu imitieren, muß er nicht denken.    Wer aber von klein auf unkritisch andere nachahmt, der lernt nie, eigenständig zu denken.   Soweit durch die Schule jemals Ansätze von eigenem Denken ermöglicht worden waren, so werden die durch den täglichen, mehrstündigen Fernsehkonsum schnell wieder verlernt und vergessen.   

6.  Zusammenfassendes Ergebnis

Der abgestumpfte Fernsehzuschauer hält es automatisch für erstrebenswert,  selbst ein Standardmensch zu sein.    Das rücksichtslose Ausleben des hemmungslosen Hedonismus mit käuflichem Konsum ist sein Ideal des guten Lebens.  
Vieles, was ich als grotesk und empörend empfinde, ist für den Langzeitfernsehkonsumenten schon so selbstverständlich geworden, daß er längst keine Alternativen mehr erkennen kann.   Wer selbst nicht oder nur teilweise dem Modell des Standardmenschen entspricht, dem wird suggeriert, das als Mangel an sich wahrzunehmen und sich um Änderungen zu bemühen.   Seine Mitmenschen nimmt er auch als Standardmenschen und Möchtegernstandardmenschen wahr und behandelt sie als solche.   
Wer erkennbar kein Standardmensch ist, wird abgelehnt und zur Zielscheibe von Feindseligkeit.   Weder der Standardmensch noch der Möchtegernstandardmensch ist sich darüber im klaren, wie sehr er sich an einer absurden und dummen Scheinwelt orientiert.  Er weiß nicht, daß er echten Menschen viel Schmerzen, Leiden und Elend aufbürdet und zumutet, wenn er sie behandelt, als wären sie auch Standardmenschen.